Beziehungen zwischen den Figuren, Teil 3: Partnerschaft

Geschichten zeigen Figuren, wie diese aufeinander treffen und was sich daraus entwickelt.

Two butterflies mate

Geschichten gewinnen an Fahrt, wenn es mehr als eine Figur gibt. Das liegt daran, dass es oft nicht die Figuren an sich sind, die das Publikum interessieren: Was das Publikum fesselt, sind Beziehungen.

Dabei unterscheidet man grundsätzlich zwischen nur drei Möglichkeiten, wie Menschen (oder Figuren innerhalb einer Geschichte) miteinander in Beziehung treten können:

  1. sie kooperieren
  2. sie stellen sich gegeneinander
  3. sie kommen als Paar zusammen

Autor*innen beleuchten die Komplexität hinter diesen scheinbar einfachen Beziehungsformen.

Zwei der drei Arten von Beziehungen werden in wohl jeder Geschichte dargestellt, nämlich Kooperation und Konflikt. Damit die Geschichte emotional ganzheitlich wirkt, wird bei populären Geschichten à la Hollywood gern noch ein Liebesverhältnis hinzugefügt. Das entspricht, glauben wohl die Produzent*innen, unserer Erwartungshaltung bei dieser Kategorie von Geschichten. 

Viele Geschichten werden von den Autor*innen mit einem A-Plot und einem B-Plot konzipiert. In Fernsehserien zum Beispiel ist dies die typische Form. Die A-Handlung sorgt für die Spannung des Konflikts, in dem die Protagonist*in mit Hilfe kooperierender Figuren darum kämpft, Hindernisse zu überwinden. Das ist der vordergründige Plot. Damit verflochten ist ein zweiter Handlungsstrang, in dem die Protagonist*in sich mit einer anderen Figur auf einer tieferen persönlichen Ebene einlässt. Die beiden Plots verbinden sich bei der Auflösung.

Liebesgeschichten

Natürlich steuern Liebesgeschichten auf ein Happy End zu. Bei einer Liebesgeschichte weiß das Publikum, worauf es sich einlässt: Am Ende wird das Paar seine Schwierigkeiten überwunden und zusammengefunden haben. Dieses Genre folgt prinzipiell nicht so sehr der Frage was passieren wird, sondern vielmehr der Frage: Wie wird es passieren? Übrigens zieht uns das Wie (und Warum) nicht nur bei Liebesgeschichten in den Bann, sondern ist genauer betrachtet bei Geschichten jeglicher Art attraktiver als das Was.

Die Möglichkeiten, wie eine Liebesgeschichte aufgebaut ist, sind überschaubar:

  • Gegensätze ziehen sich an
  • als Variante davon Hund-und-Katz-Beziehung
  • das Wiedererwachen verlorener Liebe (zweite Chance)
  • Hals über Kopf
  • oder auch komödiantisch mit Verwechslungen und Missverständnissen

Der Kunstgriff besteht darin, einen tragfähigen Kontrast zwischen den künftigen Partnern herzustellen. Ihre jeweiligen inneren Probleme müssen sie zunächst daran hindern, zu erkennen, wie gut sie eigentlich zueinander passen. Jede der beiden Figuren muss etwas über sich selbst lernen, einen Offenbarungsmoment erleben, um die andere Figur als Partner oder Partnerin zu erkennen.

Häufig wird in Liebesgeschichten eine äußere Krise die inneren Probleme, die die Beziehung zunächst vereiteln, zu einem Höhepunkt treiben. Der vordergründige Plot, also die äußere Handlung, zeigt Hindernisse und Mühen, doch erst die Entwicklung der Figuren und ihre wachsende Beziehung machen die Geschichte für das Publikum interessant.

Buddy-Geschichten

Nicht jede Geschichte endet vor dem Traualtar, Held und Heldin müssen nicht zwangsläufig Braut und Bräutigam werden, wie es so häufig in Märchen vorkommt.

In Buddy-Geschichten geht es zum Beispiel um das Bündnis an sich: Diese Art von Geschichten kann auf die Verbrüderung der Haupthelden hinführen und in dieser kulminieren, wie in „Lethal Weapon 1“, dt. u.d.T. „Zwei stahlharte Profis“. Der Film beginnt mit dem Treffen der zukünftigen Kumpels als auslösendem Ereignis. Das Bündnis könnte auch von Anfang an festgelegt sein, zum Beispiel im Klassiker „Butch Cassidy and the Sundance Kid“, dt. u.d.T. „Zwei Banditen“).

Bündnis mit der Gruppe

In vielen Geschichten wird der Protagonist am Ende (wieder-)vereinigt mit seiner Sippe – sei es Familienverbund, Stamm oder Volk. Es kann für den ambitionierten Zuschauer in der Tat ziemlich ärgerlich sein, wie oft Filme mit einer Szene enden, in der der erfolgreiche Held von einer Gruppe bejubelt wird. Gefeiert zu werden untermalt aufs schönste den erreichten Erfolg (vgl. das Ende von „Krieg der Sterne“ (1977)); Alleinsein hingegen steht für Scheitern: Michael wird am Ende von „Der Pate 2“ als einsam und allein gezeigt. Die Neigung zu Schlussszenen, in denen die Gruppe den Protagonisten anerkennt und die (Wieder-)Aufnahme in ihre Mitte durch eine Art Feier bestätigt, ist eine weitere Manifestation des Ur-Drangs, in der Gruppe, dem Stamm, der Sippe, der Gemeinschaft zu leben.

Klassische Komödien und Märchen

Märchen enden oft mit der offiziellen Verbindung eines Paares; das ist unsere Vorstellung eines klassischen Happy Ends.

In archetypischen Geschichten, in denen zum Beispiel Prinz und Aschenputtel-Prinzessin am Ende zueinander gefunden haben, repräsentiert die Manifestation als Paar den zyklischen Aspekt der menschlichen Erfahrung der Welt – dass nach jeder Nacht der Tag kommt, nach jedem Winter der Sommer, nach jeder Dürre irgendwann der Regen.

Paar(findung) als Verkörperung zyklischer Erfahrung? Die Erklärung liegt in der Grundkonstellation am Ende der Geschichte. Sie spiegelt die Ausgangslage – die Welt, bzw.  das Königreich, ist nach der Unruhe des Abenteuers wieder im Lot, nur wird sie jetzt von der nächsten Generation angeführt. Die Synthese der beiden romantischen Leitfiguren folgt der These und Antithese, dass die alte Ordnung der Dinge (repräsentiert durch den König und die Königin) mit der neuen, jungen, frischen Weltanschauung des Prinzen und der ggf. zuvor verkannten Prinzessin konfrontiert wird. Mit dem Zusammenkommen des Prinzen und der Prinzessin wurde die alte Ordnung durch die neue Ordnung der jüngeren Generation ersetzt: Synthese. Diese Sichtweise serviert uns das Märchen zwar nicht unbedingt auf dem Silbertablett; sie schwingt allerdings häufig mit.

Die Vereinigung bei der Auflösung der Geschichte impliziert die Bildung einer neuen Einheit – die junge Generation Prinz und Prinzessin sind jetzt König und Königin, werden älter und beginnen, die im Märchen besonders fest etablierte Ordnung nunmehr gegenüber ihren Nachkommen zu verteidigen. Die zyklische Natur des Universums, werden doch Kinder und Kindeskinder mit der Zeit ihre Stellung innerhalb der althergebrachten Ordnung in Frage stellen: Ewig Thronfolger zu sein, ist kein märchenhaftes Schicksal.

Man vergleiche die klassische Komödie mit dem anderen großen klassischen Genre, der Tragödie, die sich mit Vergänglichkeit und Sterben befasst. Zwei universelle Erfahrungen: Das Leben geht weiter, und das Leben findet sein Ende. Um es ganz schlicht zu fassen: In der Komödie geht es um das Leben, in der Tragödie um den Tod.

Fazit

Nicht nur Kindergesichter vor dem Fernseher sind emotionales Schauspiel pur, auch die Mimik Erwachsener spricht Bände über den Sog, den das Erleben einer Geschichte bewirken kann. Jede emotional wirksame Geschichte ist also eine „echte“ Erfahrung. Und schließlich wissen wir, dass wir am besten durch Erfahrungen lernen.

Die Darstellung komplexer Beziehungen ist Sinn und Zweck fast aller Geschichten. Geschichten widerspiegeln die Instinkte, die uns beim Leben in einer Gruppe leiten. Aber Geschichten sind mehr als ein Spiegel, sie können uns Lehrmeister sein, bieten sie uns doch eine emotionale Spielwiese, ein eigens errichtetes Experimentierfeld, auf dem wir die Gefühle ausleben, die Konflikte, Kooperation und Partnerschaft in uns auslösen können. Denn wenn wir uns auf eine Geschichte einlassen, erleben wir sie, indem wir die Emotionen erleben, die sie hervorrufen.

Foto von Abdul Momin auf Pixabay

Schon gelesen? Beziehungen zwischen den Figuren, Teil 1: Verbündete


 

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